Historische Gesellschaft

Kulturgut "Pferdekarussell"

In diesem Beitrag möchten wir an die Urform des Karussells erinnern, die die Volksfestbesucher bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum heutigen Tage begleiten. Entstanden sind sie ursprünglich aus den Ritterspielen zu Ross, die den Adeligen und Privilegierten als Vergnügen vorbehalten waren. Erst mit Einzug der Jahrmärkte wurde es auch dem "gemeinen" Volk ermöglicht, auf einem prachtvoll geschmückten Ritterpferd, oder in der edlen Kutsche Platz zu nehmen. In Süddeutschland, Österreich und in der Schweiz erinnern noch die Begriffe "Ringelspiel", "Rösslirytschuel" oder "Reitschule" an die ursprüngliche Herkunft.     

Kein anderes Fahrgeschäft hat eine so lange Tradition aufzuweisen und weckt so viele Emotionen wie das klassische Pferdekarussell. Es steht seit jeher als Symbol für Jahrmärkte und Volksfeste und natürlich auch für das Gewerbe der Schausteller. Hier in Deutschland stand einst die Wiege der ersten realistisch gestalteten Ritterpferde, deren Erfolg sensationell und wegweisend sein sollte. Diese kunstvoll gearbeiteten Karussellpferde wurden damals in aller Herren Länder exportiert. Doch, obwohl es sich hier um eindeutiges Kulturgut handelt, verblasste im Laufe der Zeit die Geschichte ihrer Herkunft. Durch Kriege und durch die Teilung Deutschlands gingen Firmenchroniken der einstigen Karussellfabriken verloren.

Um ein altes Karussell besser verstehen zu können, versetzen wir uns für einen kleinen Augenblick in das Zeitalter vor 1900. Es war ein hartes und von schwerer Arbeit geprägtes Leben. Die Elektrifizierung war noch nicht sehr verbreitet, Kinematographen und Automobile waren eine Seltenheit. Was es aber als Ausgleich gab, waren Jahrmärkte und Schützenfeste mit den perlbestickten und samtbehangenen Karussells, auf denen sich prachtvolle Parade-Kaiser-Spiegelpferde und prunkvolle Königskutschen im Kreise drehten. Neben den stolzen Rössern gab es auch exotische Exemplare wie Elefant, Nashorn, Löwe, Kamel und viele andere mehr, die in abgelegenen und ärmeren Orten nur durch Abbildungen bekannt waren, denn ein Besuch im Zoo war zu jener Zeit kaum erschwinglich. Nun stelle man sich einmal vor, welches Gefühl die Menschen der damaligen Zeit empfunden haben mussten, wenn sie auf einem wilden Löwen oder einem Zebra reiten konnten. In den Abendstunden war die Szenerie in feenhafte, oft gasbetriebene Beleuchtung eingetaucht. Dazu ertönte die mechanische Musik der Orgeln, die hinter wunderbar geschnitzten und vergoldeten Fassaden erklang und manchmal von Trommelschlägen begleitet wurde. An einigen dieser Musikinstrumente drehten sich kleine Figuren zur Melodie. Wie von Geisterhand bewegt, spielten kleine Engelchen auf einem Glockenspiel zum Takt des prächtig geschnitzten Dirigenten. Wie muss diese zauberhafte Atmosphäre die Menschen damals begeistert haben.

Während der Kriege löste der Anblick eines Karussells eine Sehnsucht nach besseren Tagen aus. Eine letzte unbeschwerte Karussellfahrt mit den Liebsten, bevor es hieß, zurück an die Front. Während den Nachkriegszeiten war es Trost und Hoffnungsträger nach einer dunklen Ära. Was muss es für ein Gefühl gewesen sein, nach Kriegsende die ersten bunten Fahrgeschäfte zwischen den Ruinen der Häuser zu sehen. Das erste Mal Karussell fahren nach Bombenangriffen, Verlust und Ängsten. In vielen alten Leuten steckt diese Erinnerung und sie erwacht beim Anblick eines alten Karussells.

Obwohl ein altes Pferdekarussell noch immer zum Träumen anregt, ist die heutige Magie doch eine andere. Manchmal spiegelt sie sich in den Augen der Besucher wider, insbesondere bei den Kindern und älteren Menschen. Es gibt kein anderes Karussell oder mechanisches Objekt, das die Fantasie der Kinder im gleichen Maße anregt. In der heutigen Zeit gibt es kaum ein Karussell, auf dem junge Familien oder Großeltern gemeinsam mit ihren Babys fahren können, denn die Kleinen wissen nicht was sie erwartet und haben häufig Angst. Aber sicher gehalten in den Armen der Erwachsenen geschieht wieder etwas Besonderes. Für die Erwachsenen ist es das Hineintauchen in ihre eigene Kindheit und für die Kleinen die Einführung ins Karussellfahren. Diese besondere Magie scheint die emotionale Anziehungskraft eines alten Pferdekarussells auszumachen.

Bereits im Jahre 1902 berichtete ein Zeitzeuge in einer kulturhistorischen Betrachtung:

"Wenn dann am Abend die langen Laternen, in denen Petroleumlampen brennen, angezündet sind, so gewährt ein solches Karussell der alten Art einen Anblick, der uns Kindern einst märchenhaft erschien und heute noch in uns wehmutsvolle Erinnerung wachruft. Ich fürchte sehr, dass in etwa 20 Jahren dieser Zauber dahin sein wird und dass mit ihm die alten Pferdekarussells verschwunden sein werden."

Als die alten Pferdekarussells nicht mehr gefragt waren, verschwanden sie fast unmerklich von den Festplätzen, denn schon damals verlangte das Publikum nach neuen Belustigungen. Dieser Prozess ging erst langsam voran, beschleunigte sich aber spätestens in den 1960er Jahren. Neue bauliche Auflagen der Genehmigungsbehörden machten hohe Investitionen nötig. So stellte sich irgendwann einmal nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten die Frage, ob sich ein Weiterführen überhaupt noch lohne oder besser in eine moderne Attraktion investiert werden solle - sehr häufig wurde gegen das Pferdekarussell entschieden. Schließlich ist ein Schausteller ein Unternehmer, der mit seinem Geschäft Geld verdienen und für die Zukunft planen muss. Heute gibt es mit der neuen DIN Norm 13814 ein weiteres Erschwernis. Die Wiederinbetriebnahme eines Scheunenfundes ohne gültige Ausfuhrgenehmigung ist nahezu aussichtslos.

Nur noch wenige der verbliebenen alten Pferdekarussells sind heute im alltäglichen Einsatz und stehen dort in Konkurrenz mit den modernen Fahrgeschäften. Der aufwendige Auf- und Abbau, der Transport und der Betrieb bei jeder Witterung, setzt einem aus Holz gebauten Karussell gehörig zu. Dadurch wird der Unterhalt sehr zeitaufwendig und teuer. Um die Spuren des täglichen Einsatzes zu beseitigen, wurden viele der alten Holzpferde immer wieder neu bemalt. Dadurch verschwanden die filigranen Schnitzereien unter einer dicken Farbschicht.

Da aber in der heutigen Zeit die historischen Karussells mit einem originalen Besatz sehr selten geworden sind, verblasste auch mit der Zeit die Erinnerung an das Erscheinungsbild der originalen Karussellpferde. Billige Importware aus Fernost überflutete in den 1990er Jahren Deutschland. Sei es aus Mangel an Kenntnis oder bewusst falsch deklariert, werden diese Plagiate oft als original historische Karussellpferde angepriesen. Für den Betrachter ist es schwierig, ein Plagiat von einem historischen Karussellpferd und somit von einem wertvollen Kulturgut, zu unterscheiden. Umso wichtiger sind in der heutigen Zeit Ausstellungen mit originalen Exponaten, um das Interesse an Karussells zu erhalten.

Abschließend muss hier gesagt werden, dass jede noch so einfache Form eines original alten Karussells mit seinen Pferden, Tieren und Kutschen ein wertvolles Stück Kulturgeschichte darstellt. Meist wurden sie weit vor der Jahrhundertwende gebaut und bereiteten vielen Generationen Freude. Sie sind Relikte aus einer anderen Epoche, die mit Respekt betrachtet und entsprechend behandelt werden sollten.

Darum - nehmen Sie Platz, in einem der wunderschönen historischen Karussells, halten Sie einen Moment inne und lauschen Sie den Klängen und Geräuschen, die eine Geschichte aus längst vergangenen Tagen erzählen. Mit dem Kauf einer Fahrkarte tragen Sie dazu bei, dass auch künftige Generationen ein altes ehrwürdiges Karussell erleben können.

Quelle: aus dem Buch "Vom Karussellpferd zur Raketenbahn", Susanne Fredebeul, ISBN: 978-3000616952

 

Das Kettenkarussell oder auch Kettenflieger genannt, ist eigentlich die einfachste Karussellkonstruktion und etwa um 1900 entstanden. Sein besonderer Reiz liegt neben der erheblichen Höhe und dem großen Fahrkreis natürlich in der schnellen Fluggeschwindigkeit. Durch die Fliehkraft wird der mutige Passagier in luftige Höhen geschleudert. Früher wurde noch vom Personal während der Fahrt an den Sitzen gezogen, damit die zumeist weiblichen Passagiere dann schwungvoll in die Höhe schleuderten. Diese  Praxis, in Deutschland längstens untersagt, wird aber in den Niederlanden noch heute gerne praktiziert und ist unter dem Namen "Zweefmolen" bekannt. Dort kann sich ein verliebtes Pärchen auch in Doppelsitzen schleudern lassen. Bei der Jugend war natürlich das "Kettendrehen" sehr beliebt. Dabei wurden die Sitze solange gedreht, bis sie sich während der Fahrt schwungvoll auseinanderdrehten. Auch dies ist leider heute strengstens verboten.

Mit der Entstehung der Luftschifffahrt und den ersten erfolgreichen Motorflügen der Gebrüder Wright in Amerika, wurde das Thema Luftfahrt immer mehr in der Konstruktion neuer "Fliegerkarussells" umgesetzt. Dort wurden zunächst Nachbildungen der Luftschiffe anstatt der Kettensitze aufgehängt, unter denen die Fahrgäste in Gondeln sitzen konnten. Neben der bekannten Karussellfabrikation von Fritz Bothmann in Gotha, präsentierte der Konstrukteur  Josef Hübner, dessen Leidenschaft die Fliegerei war  in seiner, in  Neustadt an der Orla ansässigen Karussellfabrik ab 1911 die sogenannten "Aeroplan-Karussells". Die Gondeln waren Nachbildungen der damaligen bekannten Flugapparate. Diese riesenhaften Fliegerkarussells hatten eine Höhe von 12 Metern, 12 Meter Durchmesser und einen Ausschwung von 20 Metern und konnten 80-90 Personen transportieren. Die Flügel der Flugapparate standen im Ruhestand nach oben und klappten durch einen pfiffigen Mechanismus, den sich die renommierte Karussellfabrik Friedrich Heyn im Jahre 1920 patentieren ließ, im Fluge nach unten. Doch diese schwerfälligen Karussells waren selbst für damalige Verhältnisse wirtschaftlich nicht sinnvoll und schließlich setzte sich das klassische Kettenkarussell mit Einzelsitzen durch.

Wir freuen uns sehr, dass sich gleich mehrere Varianten der klassischen "Kettenflieger" in den Beständen unserer Mitglieder befinden. Der imposante Gundelwein-Kettenflieger aus dem Jahre 1919 feierte 2019 auf dem Oktoberfest in München sein 100ten Geburtstag. Unser Ehrenmitglied und Besitzer Hans Kalb dürfte dort auch sein 50tes Wiesnjubiläum feiern!

Der Kettenflieger von Ludwig Deinert aus Hagen ist Stammgast auf unserem Historischen Jahrmarkt in der Jahrhunderthalle in Bochum und wurde Ende der 1940er Jahre gebaut.

Eines der letzten "Schwanenflieger" Exemplare besitzt die Familie Günther Hornig aus Dortmund. Dieses große Exemplare ist schon seit über 70 Jahren im Familienbesitz und ist regelmäßig auf dem Historischen Jahrmarkt "Once Upon a Time" auf der Zeche Zollern und auf dem Hansemarkt in Dortmund zu bestaunen.

Was muss das für ein Ereignis gewesen sein, wenn damals die Schausteller mit ihren Wohn- und Packwagen zu den Festplätzen auffuhren. Wie beschwerlich und vor allen Dingen auch gefährlich das Reisen zu jener Zeit aber gewesen sein muss, lässt sich heute kaum mehr vorstellen. Mit Romantik hatte das nicht viel zu tun. Beladen mit einem schweren Karussell, beispielsweise einer Berg- und Talbahn, einem Doppelkarussell oder einer Schaubude mit ihrer mächtigen Front, wurden die Wagen zunächst mittels Pferdekraft gezogen. Und selten waren die Straßen- und Wetterverhältnisse optimal. So stellte der Transport einen unglaublichen Kraftakt für Mensch und Tier dar.

 

Hierzu schrieb Robert Thomas, Schaustellergehilfe in den 1880er Jahren, in seinem im Jahre 1905 erschienenen Buch „Unter Kunden, Komödianten und wilden Tieren“:

 

„Unterwegs kamen wir an eine Stelle, wo die Straße mit zerschlagenen Steinen frisch aufgeschüttet war. Wir hatten zu unserm Transport fünf Paar Pferde, die wir alle vor den Wohnwagen spannten, aber es wurde ihnen schwer, den Wagen über die aufgeschüttete Stelle wegzuziehen. Vor unseren beiden Packwagen spannten wir die Dampfstraßenwalze, und dieser gelang es auch, die Wagen eine Strecke vorwärts zu bringen, schließlich blieb sie aber stehen, und die Räder der Dampfstraßenwalze drehten sich, ohne dass sie weitergekommen wäre. Wir mussten also mit Winden und Bohlen nachhelfen und verloren bei dieser Arbeit mehrere Stunden.“

 

Um größere Entfernungen bewältigen zu können, wurden die Pack- und Wohnwagen dann mit der Bahn transportiert. Doch auch das Be- und Entladen und der Transport zum Festplatz nahm sehr viel Zeit in Anspruch. Diese Fahrten wurden zumeist von ortsansässigen Fuhrunternehmen ausgeführt, je nach Größe des Geschäftes zogen mehrere Gespanne den Transport. Überhaupt war das Pferd in der damaligen Zeit unverzichtbar, denn es zog nicht nur die Wagen, sondern war ebenso „Antriebskraft“ der Karussells.

Zogen die Schausteller im ländlichen Bereich bis nach 1900 noch mit ihren Pferdewagen von Ort zu Ort, kamen bald jedoch die ersten Zugmaschinen auf.

Mit der in den 1880er Jahren aufkommenden Elektrifizierung der Karussells ergaben sich völlig neue Möglichkeiten. Damit der elektrische Strom an Ort und Stelle erzeugt werden konnte, entstanden die ersten mobilen Beleuchtungswagen zur Stromerzeugung. Sehr schnell wurden diese fahrbaren Dampfmaschinen mit Dynamo zu einem festen Bestandteil auf den Festplätzen, die den Strom für die prachtvolle elektrische Beleuchtung lieferten. Während die Elektro-Lokomobile in der Regel Kohle verbrannten, wurde die Dampfmaschinen im Karussellinneren mit Koks befeuert, um das Risiko des Funkenflugs auf die Planen und Leinwände zu reduzieren. Doch war dies nicht die einzige Gefahr, die von den Dampfmaschinen ausgehen konnte. Vor allem in der Frühzeit der Dampfkraft ereigneten sich zahlreiche Unglücksfälle. Die Explosion eines Kessels und andere Zwischenfälle führten in manchen Orten zu einem Verbot der Lokomobile auf dem Festplatz. So wurde im Jahre 1892 aus diesem Grund auch auf dem Oktoberfest die Verwendung von Dampfmaschinen untersagt.

Welche große Bedeutung die Verbreitung der Dampflokomobilen im Schaustellerbetrieb für den deutschen Dampfmaschinenbau hatte, zeigt eine Statistik vom Hamburger Dom aus dem Jahre 1912. Von den insgesamt 52 dort betriebenen Lokomobilen mit einer Gesamtleistung von 2.100 Pferdestärken waren allein 37 in Deutschland hergestellt. Davon stammten 21 Exemplare aus dem Werk der Mannheimer Firma Lanz.

Anfang der 1920er Jahre erschienen die ersten mobilen Lanz-Bulldogs. Den Namen erhielt dieses Fahrzeug vom Aussehen der ersten Bulldog-Motoren, die eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Bulldogge aufwiesen. Die Einfachheit und Robustheit waren der Erfolg dieser zuverlässigen Fahrzeuge, die mit günstigem Rohöl betrieben werden konnten.

Eine Besonderheit der Bulldogs war, dass er anfangs ein Zweiganggetriebe ohne Rückwärtsgang besaß. Daher musste zum Rückwärtsfahren bei den frühen Modellen die Drehrichtung des Motors umgesteuert werden. Das erforderte einige Übung und war auch nicht ganz ungefährlich. Die Drehzahl musste fast zum Stillstand gesenkt werden und dann im richtigen Moment wieder erhöht werden, damit die Kurbelwelle in entgegengesetzter Richtung lief.

Mitte der 20er Jahre folgten Hanomag und Deutz Traktoren in speziellen Straßenschleppervarianten. Anders als bei den Ackerschleppern hatten diese eine angepasste Bereifung und spezielle Getriebe, die eine höhere Geschwindigkeiten erlaubten. Noch heute sind diese alten Zugmaschinen der Stolz eines jeden Schaustellers, waren sie jahrzehntelang ständiger Begleiter und unverzichtbares Hilfsmittel beim Transport, beim Rangieren auf dem Platz und auch als Antriebsmittel zur Stromversorgung. Sie werden heute mit viel Liebe und Aufwand gehegt, gepflegt und gerne präsentiert.

Die Mitglieder der Historischen Gesellschaft sind stolz darauf, eine große Anzahl historischer Zugmaschinen in Ihren Sammlungen zu besitzen. Dazu gehören auch besonders seltene und exotische Exemplare. In dieser Ausgabe präsentieren wir einige typischen Modelle der Hersteller Lanz, Hanomag und Deutz. In den nächsten Ausgaben präsentieren wir weitere Sammlungsstücke der Hersteller Kaelble, Kramer, Magirus usw. aber auch besonders seltene Exoten, wie z.B. Fahrzeuge der Firma Betz aus Köln.

Bildnachweis: Sammlung Fredebeul

Quellen: „Vom Karussellpferd zur Raketenbahn“, Susanne Köpp-Fredebeul

Wenn über das Kulturgut Volksfest gesprochen wird, dann darf ein Exkurs zu den Orgeln nicht fehlen, denn beides ist untrennbar miteinander verbunden. Jahrzehntelang bildeten die Orgeln mit den Karussells, Schaubuden, Kinematographen und andere Belustigungsgeschäfte eine Symbiose, denn was wäre ein Volksfest ohne Musik. In der Blütezeit der Karussellindustrie entwickelten sich die Fahrgeschäfte rasant zu prächtig ausgestatteten Vergnügungsanlagen. Nun passten die kleinen Drehorgeln nicht mehr und schnell steigerte sich die Nachfrage nach großen und wohlklingenden Musikinstrumenten, die eine ganze Kapelle ersetzen konnten. Die neu entstandenen Firmen konstruierten immer größere Orgeln mit umfassender Klangvielfalt und reichhaltig geschnitzten Fronten. Die Rollen- und Kartonnoten lösten nach der Jahrhundertwende die schweren Orgelwalzen ab und erlaubten ausgefeilte musikalische Arrangements beliebiger Länge. So manches Meisterstück konnte bis heute erhalten werden und sind ein Zeugnis jener Zeit. Damals gehörte zu jedem Karussell eine Orgel und sie war der Stolz eines jeden Schaustellers. Es gab schließlich noch keine andere Beschallung auf den Festplätzen und man möge sich einmal vorstellen, wie laut es werden konnte, wenn ein Dutzend großer Karussellorgeln gleichzeitig musizierten.
Im Jahre 1925 wurde auf der Berliner Funkausstellung der erste elektrodynamisch angetriebene Lautsprecher öffentlich vorgestellt. Diese neue Errungenschaft hielt sehr bald Einzug auf den Jahrmärkten und verdrängte in den folgenden Jahren die mächtigen Orgeln von den Festplätzen.
Ähnlich der Karussellindustrie entwickelten sich bedeutende Firmen, die ihre herausragenden Erzeugnisse in der ganzen Welt verkaufen konnten und noch heute bei den Kennern auf der ganzen Welt geschätzt werden. In Waldkirch im Breisgau entstand eine florierende Orgelindustrie, begründet durch den Orgelbauer Ignaz Bruder im Jahr 1834. Die vielseitigen Erfahrungen seiner Orgelbaukunst hat er an seine Kinder und Enkel weitergetragen. So entstanden weitere Orgelbaufirmen wie z.B. Gebrüder Bruder, Wilhelm Bruder Söhne und Alfred Bruder. Neben der großen Bruder-Familie war es vor allem die Werkstatt der Familie Ruth, die Waldkirch einen weltweit "klingenden" Namen gab. Andreas Ruth gründete seine Werkstatt 1841 und spezialisierte sich in den kommenden Jahrzehnten zunehmend auf die für Schausteller zugeschnittene Instrumente. Doch auch in anderen Regionen Deutschlands entstanden führende Produktionsstätten mechanischer Instrumente für die Schaustellerbranche. In Hannover gründete der "Drehorgel- und Orchestrionbauer" Fritz Wrede 1889 seine "Dreh- und Kirmesorgelwerkstätten".
Aber auch die heutige NRW Hauptstadt Düsseldorf beherbergte eine der weltbekannten Werkstätten für den mechanischen Orgelbau, die der Gebrüder Richter. Eduard Richter richtete ab 1874 in Düsseldorf eine Spezialwerkstatt ein, die in den kommenden Jahren immer weiter zu einem stattlichen Firmengebäude erweitert wurde. Am 12. Juni 1943 sanken große Teile Düsseldorfs beim "Pfingstangriff" in Schutt und Asche. Das Bombardement zerstörte auch die Werkstatt und Wohnhaus der Gebrüder Richter.
Einen besonders guten Ruf genießt die Firma Wellershaus, die in Mülheim Saarn ansässig war.

Selbstverständlich haben die verschiedenen Karussell- und Konzertorgeln für die Mitglieder der Historischen Gesellschaft einen ganz besonderen Stellenwert. Mehrere Orgeln der verschiedenen Firmen befinden sich inzwischen im Fundus und werden regelmäßig zur Schau gestellt und natürlich gespielt.

"Vom Karussellpferd zur Raketenbahn" – Geschichte der deutschen Karussellindustrie in Thüringen
Susanne Köpp-Fredebeul, ISBN 978-3-00-061695-2

Schon in seiner Kindheit war Richard Müller von dem Holzpfostenscooter seiner Eltern begeistert. Aus diesem Grunde traf ihn die Entscheidung seiner Eltern 1973, den Holzpfostenscooter zu verkaufen, außerordentlich schwer. Der Grund: einige Veranstalter waren der Meinung, dass dieser Scooter nicht mehr attraktiv genug war. Das die Zeiten und die Meinungen sich ändern können, zeigt Richard Müller mit seinem Holzpfostenscooter. Denn dieses Fahrgeschäft ist heutzutage begehrt und beliebt, wie am ersten Tag. Mit der Wiederinbetriebnahme dieses einmaligen Fahrgeschäftes, zeigt er uns, dass es sich hierbei nicht etwa um eine spleenige Erfüllung seines Kindheitstraumes handelt oder um die Erfüllung seines geheimen Schwurs, die alte Familientradition wieder aufleben zu lassen. Nein, da ist einiges mehr, denn dieser Scooter wird nicht nur bei historischen Jahrmarktveranstaltungen aufgebaut, sondern bei Festen jeglicher Art gebucht. Ebenso reißen sich heutige Veranstalter wieder um dieses Fahrgeschäft, was noch vor 40 Jahren von deren Vorgängern verschmäht wurde.

Im Winter 2009 stieß Richard Müller auf einer Verkaufsseite im Internet auf eine Anzeige, wo ein alter Holzpfostenscooter angeboten wurde.
Das Feuer der Leidenschaft wurde entfacht. Zusammen mit Peter Buchholz, einem langjährigen Freund, ist Richard Müller zu dem Anbieter ins Emsland gefahren, um den alten Scooter zu besichtigen. Nach umfangreicher Restaurierung hat Richard Müller diesen Traum nun verwirklichen können, hat er doch nun nach alter Tradition einen echten Holzpfostenscooter reaktiviert!

TECHNISCHE DATEN:
Baujahr: ca. 1950
Restauration: Frühjahr 2010
Hersteller: wahrscheinlich Eigenbau
Anschlusswert: 60KW
Fahrbahn: 16x10 Meter
Abmaße: 23x13 Meter (mit dem Kassenwagen)
Chaisen: 18 originale Autoscooter-Chaisen, aus dem Hause Ihle/Bruchsal:
Modell Corvette Baujahr 1962
Modell Mercedes Baujahr 1972
Modell Oldtimer Baujahr 1979

Weitere Infos gibt es hier: Richard Müller, Essen

Seit 60 Jahren ist dieses Geschäft bereits im Familienbesitz, doch die Käfigschaukel „Looping the Loop“ der Firma Marquis aus Schwerte ist noch viel älter. 90 Jahre hat sie sicher „auf dem Buckel“, doch vermutlich sind es sogar 92 Jahre. „Es handelt sich aller Wahrscheinlichkeit nach um das erste Exemplar dieser Schaukel, das bei der Firma Achtendung in Köln gebaut wurde“, sagt Gilbert Marquis, der den Oldie seit 1995 betreibt.

Mit seiner achtständigen Schaukel, bei der von den Fahrgästen viel körperlicher Einsatz verlangt wird, um den gut gesicherten Stahlkäfig in Bewegung zu bringen, ist Marquis vorwiegend auf den Stammplätzen unterwegs, denn zum erfolgreichen Betreiben der Anlage braucht es Publikum, das das Geschäft kennt. „In den 1970er und 1980er Jahren waren auch die ruppigeren Leute bei uns zu Gast, doch heute ist das vor allem Familiensache“, sagt Gilbert Marquis. Häufig kämen Großeltern mit den Enkeln, die denen dann zeigen wollten, wo und wie sie früher auf der Kirmes schöne Stunden verbracht haben.

Der mit 18 Metern Front und acht Metern Tiefe gewiss nicht kleinen Loopingschaukel sieht man ihr Alter nicht an. „Mit einiger Sicherheit ist jedes bewegliche Teil schon einmal ausgetauscht worden“, macht Gilbert Marquis deutlich. Die Anlage wirkt nicht nur wegen ihrer frischen Farbgestaltung und des sehr gepflegten Gesamteindrucks auf der Höhe der Zeit. Und der Zuspruch auf den Stammplätzen wie Oberhausen, Menden, dem Münchner Oktoberfest, Bocholt, Bad Hersfeld und Soest, um nur einige zu nennen, bestätigt das. Wie viele Personen in den mehr als 90 Jahren ihres Bestehens schon beim „Looping the Loop“, früher auch als „Überschlagsschaukel“ aktiv waren, lässt sich nur schätzen. Aus der Mode gekommen ist sie nie.

Erster Besitzer in den 1930er Jahren war der Kölner Schausteller Adam Buntenbroich. Ihm gelang es auch, die Anlage in den Wirren des zweiten Weltkriegs gut zu verstecken, so dass sie nach dessen Ende unbeschadet weiterbetrieben werden konnte. Auf einem Foto ist am Geschäft auch der Name Heindrichs zu sehen, doch offizieller Zweitbesitzer wurde Mitte der 1950er Jahre die Firma Milz aus Köln, bevor das Geschäft Ende des Jahrzehnts zur Firma Schunk nach Kassel ging.

Dort wurde Karl-Heinz Marquis aus Schwerte auf die Anlage aufmerksam und kaufte es mit seiner Frau Meta, eine geborene Küchenmeister. Marquis baute sich eine erstklassige Tour auf und spielte zwischenzeitlich mit der Idee, eine leichtere, komplett auf einem Wagen montierte Variante der Schaukel aus Italien vom Hersteller Cosmont zu erwerben. Doch diesem Geschäft fehlte die Atmosphäre und vor allem die zentrale Kasse in der Mitte. Also blieb man beim arbeitsintensiven Exemplar, das in dieser Form längst einzigartig ist, wenngleich vermutlich sechs Exemplare gebaut wurden. Auch die 2012 von Marquis erworbene „Rhönrad-Schaukel“ der Firma Vorwieger aus Hannover, die man allerdings noch nie auf einem Festplatz aufgebaut hat, kann hier nicht „das Wasser reichen“.

Die vielen Teile der Käfigschaukel (laut Schätzungen von Gilbert Marquis dürften es mehr als 500 sein) finden auf einem Transport Platz. Auf- und Abbau bleiben jedoch schwere Handarbeit. Verständlich, dass sich die Auftritte im Jahr auf lukrative Veranstaltungen beschränken, auf denen man gut eingeführt ist. Und somit war schon Vater Karl-Heinz Marquis parallel noch mit einem Ringwerfen unterwegs. Gilbert Marquis, der seit 1990 selbstständig ist, begann mit einem „Fadenziehen“. Eine Zeit lang wurden auch Kokosnüsse angeboten. Seit 2004 ist noch ein Crepes-Stand hinzugekommen

„Holz benötigt Pflege. Man muss immer dran bleiben“, sagt Gilbert Marquis über sein Geschäft, bei dem er von seiner Frau Andrea und Sohn Gilbert jun., der in Kürze mit dem Pink Date-Spiel „Buddy Bear“ startet, tatkräftig unterstützt wird. Auch während der Corona-Pause wurde kräftig in die Anlage investiert. So ersetzte man die Gondeln. Auch die atmosphärisch sicher viel passenderen Glühbirnen wurden gegen LED-Leuchtmittel getauscht, so dass der Sprung in die Zukunft beim Thema Energiesparen bereits geschafft ist. Damit darf man davon ausgehen, dass die Firma Marquis mit ihrem „Looping the Loop“ nicht nur das 100-jährige Jubiläum feiern will.

Quelle: Kirmes und Park Revue, Markus Wasmuth

"Die Fahrt ins Paradies" - die Geschichte einer Berg- und Talbahn

Während sich das Karussell langsam in Bewegung setzt, begrüßt Toni Schleifer seine Fahrgäste persönlich mit einem freundlichen "Hallo….Hallo…Hallo….Hallo!!!!"
Dann greift er zum Saxophon und begleitet mit seinem Instrument gefühlvoll die Melodie - beispielsweise zu "The Pink Panther".
Hiernach folgt eine kleine Einweisung zu seiner Berg- und Talbahn:

"Fangen wir erst mal langsam an, da bleibt noch Zeit für eine kleine Produktinformation! Ihr sitzt in einem Karussell aus dem Jahr 1939, eine Berg- und Talbahn, fast komplett aus Holz gebaut, vom damaligen Weltmarktführer der Karussellindustrie - der Firma Friedrich Heyn aus Neustadt an der Orla. Unser Karussell war über 50 Jahre eingelagert in einem Schuppen. Es war vergessen worden. Wir haben es zufällig im Jahr 2003 entdeckt, sieben Jahre aufwendig restauriert! Es befindet sich jetzt wieder in einem nahezu 100%igen Originalzustand und ist in dieser Art und Ausführung das letzte Exemplar und damit einmalig auf der ganzen Welt. So – und jetzt hab ich genug gequatscht. Jetzt wollen wir doch mal sehen, was die alte Kiste noch kann!!
JETZT GEHT’S LOS!!! – Wir fahren Tempo!!!"

Nicht nur dass die Bahn das letzte Exemplar seiner Art ist, auch die Art und Weise, in der sie von Toni Schleifer, seiner Ehefrau Claudia und ihrer Tochter Eva betrieben wird, sucht ihresgleichen. Damit lässt die Familie Schleifer eine alte Tradition aufleben, die in der damaligen Zeit häufig in den großen Karussellpalästen oder an den großen Dampfkarussells anzutreffen war. Mit Konfetti und Luftschlangen, mit kleinen Tröten und Liederkärtchen und mit einem großen Halali kann man bei ihnen und mit ihnen eine Fahrt mit allen Sinnen erleben. Diese Bahn wird nicht nur betrieben, sie wird geradezu gelebt! Noch eine Besonderheit: Die letzte Runde vor dem Feierabend wird stets mit dem Lied der Deutschen begleitet. Damit, so erzählt Toni Schleifer, wird der Feierabend eingeläutet, so wie früher durch das Fernsehtestbild und die zuvor abgespielte Nationalhymne der Sendeschluss angezeigt wurde. Das absolute Gänsehautfeeling stellt sich ein, wenn man bei der letzten Fahrt einer Veranstaltung dabei ist. Meist gesellen sich Kollegen und Kolleginnen, Mitarbeiter und letzte Fahrgäste hinzu und dann wird es nochmal ganz emotional. Gespielt wird die Elvis-Presley-Interpretation von "My Way". Alle Fahrgäste singen mit und zum Schluss verabschiedet sich Toni Schleifer von jedem seiner Gäste.

Zu Beginn der 1930er Jahre entwickelte die Karussellfabrik Friedrich Heyn den Karusselltyp "Fahrt ins Blaue", zu dem auch die "Fahrt ins Paradies" gehört. Der Unterschied zu den ersten Berg- und Talbahnen bestand in der Anzahl der Berge und Täler. Hatten die anfänglichen Bahnen nur zwei Berge, die Raupe schon drei, die "Fahrt ins Paradies" vier Berge. Hierdurch ergibt sich eine lustige angenehme Fahrweise, die in damaligen Annoncen als "Humoristische Tempofahrt", "Wellenfahrt", oder "Lustige Fahrt ins Blaue" bezeichnet wurde. Die "Fahrt ins Paradies" wurde am 25. April 1939 von der Karussellfabrik Friedrich Heyn an den Schausteller Jakob Pfeiffer aus Bruchmühlbach/Pfalz ausgeliefert. Anfang der 50er Jahre lagerte man die Bahn fein säuberlich in einem Schuppen ein. Dort fiel das Karussell in eine Art Dornröschenschlaf, der annähernd 50 Jahre andauerte. 

Ursprünglich lediglich als privates Restaurierungsprojekt gedacht, war der große Ansturm auf die "Fahrt ins Paradies" auf der Annakirmes in Düren und der Jubiläumswiesn auf dem Oktoberfest in München 2010 ein unerwarteter Erfolg für die ganze Familie Schleifer. In den Folgejahren hat sich die "Fahrt ins Paradies" zu einem wahren Kultkarussell entwickelt, das sich eine feste Fangemeinde in ganz Deutschland geschaffen hat. Wer hätte erwartet, dass dieses Karussell nach nahezu 80 Jahren noch so viel Freude und Begeisterung auslösen kann?  Möge die "Fahrt ins Paradies" noch viele Jahre das Publikum begeistern und Freude bringen und die Menschen an die große Zeit der klassischen Karussells aus Neustadt an der Orla erinnern.

Quelle:  "Vom Karussellpferd zur Raketenbahn", Susanne Fredebeul, 2019

 

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